Wenn wir unseren eigenen Umgang mit unserem Körper besser verstehen wollen und herausfinden, wie unsere Sozialisierung uns prägt, hilft es, in die Geschichte zurück zu blicken. Denn unsere Identität und unsere Sozialisierung baut auch immer auf der Kultur auf, in die wir hinein geboren wurden. Und diese Kultur beruht auf der Konstruktion: oben und unten, schwarz und weiß, männlich und weiblich, gut und schlecht. In dieser Denkweise, in der Weiblichkeit mit Schwäche und Minderwertigkeit konnotiert ist, hat sich auch eine Verachtung von Menstruation entwickelt. Doch wie sind andere Kulturen mit Menstruation umgegangen? Wie haben sie dieses Thema in den Alltag integriert? Und wer kommt die Stigmatisierung von Menstruation?
Ein Blick in die Geschichte der Menstruation kann uns helfen, unser eigenes Bild zu hinterfragen und zu erneuern, aber uns auch bewusst zu werden, wie sehr Menstruation instrumentalisiert wurde, um misogyne Tendenzen zu fördern. Ganz im Gegensatz zur recht unspektakulären biologischen Erklärung für die monatliche Blutung hat die Kultur durchschnittlichen 65 ml mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen. Vom Gift hin zum magischen Saft wurde der harmlosen Mischung aus Blut, Sekreten und Schleimhautresten allerlei unterstellt. Somit wurde auch die auch Produzentin abgewertet. Aus diesem Grund kann die Kulturgeschichte der Menstruation auch in gewisser Weise als Geschichte der Geschlechterrollen gelesen werden.
Was hält Gott von Menstruation?
Bereits in der Bibel finden sich strenge Vorschriften, wie sich eine menstruierende Frau zu verhalten hat. „Hat eine Frau Blutfluss und ist solches Blut an ihrem Körper, soll sie sieben Tage lang in der Unreinheit ihrer Regel verbleiben. Wer sie berührt, ist unrein bis zum Abend“, kann man im 3. Mose 15, 19 lesen. Damit galten Frauen sieben Tage lang als unberührbar. Deswegen waren so systematisch vom gesellschaftlichen und religiösen Leben ausgeschlossen, durften den Tempel nicht besuchen und waren damit nicht würdig für Gottes Gegenwart. Um die Reinheit wiederherzustellen und wieder sexuelle Kontakte eingehen zu dürfen war ein rituelles Bad notwendig.
Auch im Islam findet sich ein Verbot von Sexualkontakt, dem Betreten der Moschee (außer in äußerst dringenden Fällen) und auch ein Verbot, zu beten. Deswegen wird auch hier ein rituelles Bad nötig, um die Reinheit der Frau wiederzustellen. „Und sie fragen euch nach der Menstruation; sprich: Es ist schädlich, also haltet euch von den Frauen während der Menstruation fern; und nähert euch ihnen nicht, bis sie rein werden, und wenn sie sich gereinigt haben, dann kommt zu ihnen, von wo aus Allah für euch bestimmt hat“, steht im Koran 2:222.
Stigmatisierung in den Weltreligionen
Zwar waren im frühen Christentum Frauen nicht vom Besuch des Gottesdienst ausgeschlossen. Doch änderte sich dies, auch unter Verwendung des Arguments, dass sie durch die Menstruation zeitweise unrein seien[1]. Die Menstruation wurde als Strafe für Evas Sündenfall interpretiert, den nun kollektiv alle Frauen zu tragen hatten. Aufgrund der besonderen Stellung von Maria in der katholischen Theologie, die es nicht zuließ, dass diese makelbehaftet war, wurde diese als nicht-menstruierende deklariert [2]. Zwar wurden diese Regelungen schon im Mittelalter wieder aufgeweicht, das römisch-hellenistische Einflüsse stärker wurden. Doch die Betrachtung von Menstruation als Zeichen für das Versagen der Frau, schwanger zu werden, zog sich noch ins 20. Jahrhundert. Das ging so weit, dass Menstruation als weinen der Gebärmutter um das fehlende Baby, bezeichnet wurde. ß
Auch nicht-europäische Religionen zeichnen ein sehr negatives Bild der Periode. Im Hinduismus gibt es den Aberglaube, dass religiöse Riten wirkungslos werden oder ins Gegenteil verkehrt werden können, wenn menstruierende Frauen anwesend sind. Auch hier ist ihnen Sex, das Betreten des Tempels und der Kontakt mit anderen Menschen verboten, da sie sich in einer Phase der Reinigung befinden. Während in manchen Formen des Buddhismus (Therevada und Hinayana) Menstruation als rein biologisches, nicht-aufgeladenes Phänomen betrachtet wird, ist es im japanischen Buddhismus verboten, währen der Menstruation den Tempel zu betreten.
In allen großen Weltreligionen herrscht also eine sehr negative Wahrnehmung von Menstruation vor, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Stigmatisierung funktioniert religionsübergreifend.
Kleine Europäische Geschichte der Stigmatisierung von Menstruation
Der folgende geschichtliche Überblick beschränkt sich vor allem auf Europa, um die Frage zu beantworten, wie das Menstruationsstigma in der westlichen Kultur entstand, welche über den Imperialismus einen enormen Einfluss auf andere kulturelle Sphären ausübte. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass in unterschiedlichen Kulturen sehr verschiedene Vorstellungen über Menstruation vorherrschen.
Da bereits in der antiken Welt ein patriarchalisches System etabliert war, beschäftigten sich vor allem Männer mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Menstruation. Schon hier war der männliche Körper Norm und Ausgangspunkt für medizinische Überlegungen, das Weibliche war die Abweichung, der unfertige Mann[3]. Unterschiedliche Meinungen über die Rolle der Menstruation für den weiblichen Körper und der Beitrag der Frau zu einem Kind wurden diskutiert. Die Legende vom toxischen Menstruationsblut wurde bereits vom römischen Historiker Gaius Plinius Secundus vertreten. Außerhalb der Schwangerschaft sei das Blut der Frau giftig, diese hätte sich selbst aber daran gewähnt und so eine Immunität entwickelt.
Stigmatisierung vom Mittelalter in die Neuzeit
Die Idee des giftigen Menstruationsblut kursierte über Jahrhunderte und wurde erst 1958 als wissenschaftlich nicht haltbar deklariert. Ausgehend von der Antike verbreitete sich die Vorstellung bis zum 1. Jahrhundert auch im Christentum und prägte das Geschlechterverhältnis. Vor allem im Mittelalter wurde der religiöse Narrativ der Menstruation als Folge des Sündenfalls verbreitet. Davon waren selbst große weibliche Philosophinnen wie Hildegard von Bingen überzeugt. Dies zeigt die Mechanismen der Internalisierung der Stigmatisierung von Menstruation!
Doch mit dem Ende des Mittelalters, welches oft als dunkelste und rückständigste Zeit der europäischen Geschichte wahrgenommen wurde, verschärften sich die Stigmata eher noch. Nachdem sich mit der Renaissance eine zunehmende Bejahung von Wissenschaft und Vernunft durchsetzte, konnte dieser Aberglaube nicht nur weiter überleben. Mit der Aufklärung veränderte sich das Naturverständnis des Menschen, die von nun an als chaotisch und gefährlich wahrgenommen wurde. Folglich wurden Männer mit Kultur und Vernunft verbunden wurden, während Frauen als emotional und körperlich galten. Die Beherrschung der Natur und die Beherrschung der Frau waren nun zwar zunehmend von religiösen Motiven ankoppelt, aber dafür verstärkt miteinander verknüpft [4].
Die Legende vom Gift, dass es nie gab
Mit dem Sozialdarwinismus im 19. Jahrhundert ergaben sich klare Hierarchien, die den weißen Mann an die Spitze der Werteordnung stellte und folglich alles als weiblich wahrgenommene abwertete. In Kombination mit der aufkommenden Psychologie, die die Frau als psychologisch schwächer und emotional labiler darstellte und Krankheiten wie „Hysterie“ ganz klar dem weiblichen Geschlecht zuordnete, wurde Menstruation als Leiden deklariert, dass durch nicht zustande gekommene Schwangerschaft verursacht wurde. Als Schlussfolgerung wurde Frauen empfohlen, zwischen Geschlechtsreife und Menopause permanent schwanger zu sein. Eine Frau hatte in der Gesellschaft nur eine einzige Rolle: die der Mutter.[5]
Zudem setzte der Wiener Arzt Béla Schick den Mythos von Menotoxin, dem „Menstruationsgift“ in die Welt. Als er beobachtete, wie Schnittblusen, die eine menstruierende Haushälterin in eine Vase stellte, rasch verblühten, sah er alte Vorurteile bestätigt [6]. Daraufhin wurde auch noch die toxische Wirkung auf andere Organismen, z.B. Ratten oder Lupinien [7]. Obwohl diese Behauptung wissenschaftlich nicht haltbar war und unzureichend mit Kontrollgruppen arbeitete sowie statistische Fehler aufwies, konnten sich die Diskussionen über Menotoxin bis 1979 halten[8] [9]. Natürlich waren es zum Großteil Männer, die die Diskussion führten. Kein Wunder also, dass das Menstruationsstigma immer noch derart gesellschaftlich präsent ist. Und erschreckend, dass selbst die Wissenschaft an der Stigmatisierung mit wirkte.
Setzen positive Konnotationen von Menstruation ein positives Frauenbild voraus?
Ist Stigmatisierung nur dann gegeben, wenn die Frau als schwach gesehen wird? Nein! Aus der Kulturgeschichte der Menstruation wird ersichtlich, dass die Wahrnehmung von Menstruation nicht nur ein Ausdruck der gesellschaftlichen Bewertung von Frauen durch Männer ist, sondern dass Menstruation dieses Stigma noch verstärkt. Die Identität von Frauen wird über ihre biologischen Gegebenheiten definiert, Menstruation als Gräuel kategorisiert und damit das psychische und körperliche Wohlbefinden von Frauen beeinträchtigt, ebenso wie ihre freie sexuelle Entfaltung. Zwar gibt es auch viele Beispiele, in denen Menstruation positiver mit Fruchtbarkeit konnotiert wird, hierbei wird die Frau jedoch in den meisten Fällen in der westlichen Zivilisation als Mutter instrumentalisiert und auf diese Rolle reduziert.
Außerdem galt Menstruation in einigen historischen Kulturen, wie etwa bei den Cherokee, als heilig und mächtig und wurde mit erhöhten Fähigkeiten der Menstruierenden assoziiert, die zur Vernichtung von Feinden genutzt werden konnte[10]. Auch Plinius der Ältere, ein römischer Gelehrter des ersten Jahrhunderts, war der Meinung, dass nackte, menstruierende Frauen Hegelstürme und Würmer vertreiben könnten [11]. Allerdings wurden auch solche Konnotationenvon Macht und Menstruation nicht unbedingt zugunsten der Frauen ausgelegt, sondern schürten männliche Machtverlustängste.
Die Frau als Verbindung zum Kosmos
Menstruation als Synchronisation der Frau mit dem Zyklus des Mondes ist ein Motiv, welches sich in vielen Mythen und Traditionen, aber auch in der modernen Esoterik wiederfindet. Die Frau steht also im Einklang mit einer größeren kosmologischen Ordnung. Interessanterweise haben andere menstruierende Arten wie Schimpansen und Bonobos längere Zyklen (etwa 36 bzw. etwa 40 Tage)[12]. Der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss, der versuchte, Gemeinsamkeiten in den Methologien nord- und südamerikanischer indigener Völker zu finden, hob hervor, dass in vielen Kulturen Männer die Menstruation der Frauen überwachen, um sicherzustellen, dass diese Synchronisation intakt bleibt. Sonst drohe die Gefahr des Chaos. [13] Selbst hier ist die Kombination eines mächtigen Frauenbildes mit Stigmatisierung möglich.
Somit ist die Geschichte der Bedeutungsaufladung der Menstruation auch immer eine des Geschlechterverhältnisses zwischen Mann und Frau. Stigmatisierung funktioniert nur, wenn Frauen schlechte Karten haben, sich zu wehren. Auch wenn es unmöglich ist, eine Aussage zu treffen, die auf alle Kulturen der Erde zutreffen, die es je gab oder die aktuell existieren, erkennt man doch eine klare Tendenz der Unterdrückung der Frau. Folglich ist es die Aufgabe unserer Generation, diese zu durchbrechen!
Quellenverweise
[1] Judith Schlehe: Das Blut der fremden Frauen. Campus, Frankfurt am Main / New York 1987, ISBN 3-593-33859-9, S. 16 f.
[2] Caroline Ausserer: Menstruation und weibliche Initiationsriten. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-631-38275-8, S. 27.
[3] Caroline Ausserer: Menstruation und weibliche Initiationsriten. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-631-38275-8, S. 24.
[4] Judith Schlehe: Das Blut der fremden Frauen. Campus, Frankfurt am Main / New York 1987, ISBN 3-593-33859-9, S. 23.
[5] Sabine Hering, Gudrun Maierhof: Die unpäßliche Frau. Sozialgeschichte der Menstruation und Hygiene. 2. Auflage. Mabuse, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-933050-99-5, S. 30 (Erstausgabe: Centaurus, Pfaffenweiler 1991, ISBN 3-89085-633-0).
[6] Bela Schick: Das Menstruationsgift. In: Wiener klinische Wochenschrift 33 (1920), S. 377–379.
[7] William Freeman, Joseph M. Looney, Rose R. Small: Studies on the phytotoxic index II. Menstrual toxin (“menotoxin”). In: Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics. Band 52, Nr. 2, 1. Oktober 1934, S. 179–183
[8] Vernon R. Pickles: Prostaglandins and dysmenorrhea. Historical Survey. In: Acta Obstet. Gynecol. Scand. Band 87, Januar 1979, S. 7–12, doi:10.3109/00016347909157782.
[9] D. I. Macht, M. E. Davis: Experimental studies, old and new, on menstrual toxin. In: Journal of Comparative Psychology. Band 18, August 1934, S. 113–134, doi:10.1037/h0074380
[10] Sturm, Circe Dawn (2002). Blood Politics: Race, Culture, and Identity in the Cherokee Nation of Oklahoma. University of California Press. ISBN 9780520936089
[11] Pliny the Younger (1894). „xxviii. c.23“. Natural History.
[12] Martin, R. D. 1992. Female cycles in relation to paternity in primate societies. In R. D. Martin, A. F. Dixson and E. J. Wickings (eds), Paternity in Primates. Genetic tests and theories. Basel: Karger, pp. 238-74.
[13] Lévi-Strauss, C. 1978. The Origin of Table Manners. Introduction to a Science of Mythology 3. London: Cape.