Jeden Tag menstruieren etwa 800 Millionen Menschen. Auch wenn wir dabei fast immer nur über cis-Frauen reden, wenn es um Menstruation geht. Das Phänomen ist bei weitem nicht so eindimensional, wie es unsere in vielen Fällen strikt binäre Weltsicht uns vorgaukelt. Transgender Männer, agender Personen und nicht binäre Personen menstruieren zum Teil ebenfalls. Gleichzeitig menstruieren nicht alle cis-Frauen – aus den unterschiedlichsten Gründen. Trotzdem wird Gender und Menstruation so gut wie nie thematisiert!
Es ist wichtig, dass wir uns dessen bewusst werden. Schließlich handelt es sich um ein Erlebnis, dass nicht die Gesellschaft, sondern jede menstruierende Person für sich mit Bedeutung aufladen sollte. Unser Körper bestimmt nicht unsere Identität. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit erhalten, seine eigene Geschichte zu erzählen. Gleichfalls geht es darum, nicht-menstruierende Frauen nicht weiter zu stigmatisieren! Menstruierende, die von der Gesellschaft nicht als Frauen wahrgenommen müssen den nötigen Raum bekommen, um ihren Bedürfnissen während der Periode nachgehen zu können und darüber sprechen zu dürfen.
Menstruation als Insignie der Weiblichkeit?
Auch wenn die erste Periode in Deutschland nicht wie in anderen Ländern wie zum Beispiel Japan gefeiert wird und mit Ritualen verbunden ist, gilt sie doch in gewisser Weise als weiblicher Initiationsritus. Jahrhundertlang haben Männer die Diskussion bestimmt und Menstruation zu einer Identifikationsgrundlage des Frauseins hochstilisiert. Sie haben vor allem den Fruchtbarkeitsaspekt und damit den reproduktiven Nutzen der Frau für die Gesellschaft in den Mittelpunkt gestellt. Damit besteht auch die Gefahr, die Gesellschaft Menstruierende, unabhängig von ihrem persönlichen Empfinden, in die Kategorie „weiblich“ drängt. Menstruation ist ein sichtbarer Vorgang, der extrem mit einer binären Geschlechtskategorie verbunden ist und der dazu führt, dass wir Menschen einordnen.
Die erste Periode ist ein wichtiger Moment der Reflektion über das eigene Geschlecht für viele junge Mädchen und kann durchaus einen Einfluss auf deren Identitätsbildung haben. Menschen, die zum ersten Mal menstruieren, brauchen Unterstützung, aber keine überholten Weiblichkeitsdogmen oder Initiationsrituale. Auch cis-Menschen müssen sich für Genderfluidität einsetzen, um hier andere Perspektiven aufzuzeigen. Bildung kommt hier eine zentrale Rolle zu, denn Kindern muss erlaubt werden, sich auszuprobieren und nicht auf ihre traditionellen Geschlechtsrollen reduziert zu werden. Frauen und Männer sind keine biologischen Gesetze, sondern soziale Kategorien. „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“, hat Simone de Beauvoir in ihrem wegweisenden Buch „Das andere Geschlecht“ prägnant zusammen gefasst[1]. Menstruation muss als allgemeines Phänomen anerkannt werden und sollte nicht mit einer identitätsstiftenden Wirkung aufgeladen werden.
Gender ist keine Ideologie, sondern eine Befreiung
Gender ist keine Ideologie, sondern möchte ganz im Gegenteil jedem eine freie Entscheidung ermöglichen. Es geht darum, zu erkennen, dass Geschlechter keine in Stein gemeißelten Prinzipien sind. Sie strukturieren viele gesellschaftliche Interaktionen, sind aber nicht per se hilfreich, sondern in vielen Fällen sogar toxisch, da sie uns in ungesunde Verhaltensmuster drängen können. „Geschlecht ist eine weitere falsche Einteilung des Lebens in willkürliche Kategorien, von denen keine einen von uns angemessen beschreiben oder eindämmen kann, um uns im Interesse der Macht gegeneinander zu definieren. Es gibt keinen Mann. Es gibt keine Frau. Mach dich frei.[2]” Denken wir die beiden kontroversen und mit Vorurteilen belasteten Themen Gender und Menstruation zusammen, reduzieren wir Tabus.
Denn die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau bedeuten keineswegs, dass es keine Zwischenformen geben kann. Diese werden in unserem binären System lediglich unsichtbar und gelten als Normabweichung. „Unsere Vorstellungen davon, was ein Mensch ist, hängen problematischerweise davon ab, dass es zwei kohärente Geschlechter gibt. Und wenn jemand weder die männliche noch die weibliche Norm einhält, wird seine Menschlichkeit in Frage gestellt[3]”, bringt die bekannte Gender-Wissenschaftlerin Judith Butler das Thema auf den Punkt.
Dabei hat der Mensch sich in vielen Aspekten längst von seinen biologischen Grenzen entkoppelt. Auch die Kategorie Geschlecht muss also dekonstruiert werden! Eine bessere Sichtbarkeit und Achtsamkeit bezüglich des Themas darf jedoch nicht zur Kreation eines neuen Weiblichkeitsdogmas führen, denn dieses ist ebenfalls ein Zeichen einschränkender Geschlechtskategorien. Stattdessen sollten wir Menschlichkeit und nicht Geschlechtlichkeit zelebrieren! Deswegen müssen wir die Periode zunehmend als gesellschaftliches Phänomen betrachten, nicht als rein privates!
Menstruieren jenseits binärer Geschlechtskategorien
An Transmännern mit Periode zeigt sich beispielhaft die mehrdimensionale Stigmatisierung, die Menschen trifft, die gesellschaftliche Normen nicht erfüllen. Hieran wird klar, wie stark die Gesellschaft Abweichungen sanktioniert. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was es bedeutet, als von der Gesellschaft nicht als weiblich wahrgenommener Mensch zu menstruieren, solltest du auf die Stimmen der Betroffenen hören. Sprecht mit Menschen, die ihr kennt, über eure Erlebnisse – auf Augenhöhe und mit viel Einfühlungsvermögen! Es geht nicht darum, einen Menschen über seine Privatsphäre auszufragen, sondern um Erfahrungsaustausch!
Als ich mit einer betroffenen Trans-Person in meinem Freundeskreis sprach, erklärte er mir vor allem, wie schwer es ihm fällt, außerhalb des Freundeskreises über ihre Menstruation zu sprechen. Weil er Angst hat, dass man ihn sonst auf sein biologisches Geschlecht reduziert. Er befürchtet, sich übergriffigen Fragen über seine Privatsphäre stellen zu müssen. Das ständige Erklären seiner Identität ist für ihn ohne hin schon kraftrauben. Zusätzlich hatte er mehrfach den Fall, dass andere ihn bezüglich seiner primären Geschlechtsmerkmale und warum er denn menstruiere ausfragen wollten. Was einer heterosexuellen cis-Frau selbstverständlich nicht passieren würde.
Während der Menstruation tendiert er deswegen dazu, obwohl er sonst gerne in Gemeinschaft ist, sich stark aus der Gesellschaft zurück zu ziehen. Außerdem hat er die Tendenz an sich selbst beobachtet, während seiner Periode besonders einen männlichen Habitus zu betonen, sie es über Kleidung oder Auftreten. Das ist nicht unbedingt ein absichtliches Verhalten, sondern eher eine unbewusste Reaktion auf gesellschaftliche Vorurteile.
Das ist nur eine Perspektive von vielen, die nicht unbedingt für eine große Zahl an Menstruierende, die nicht als Frauen wahrgenommen werden, sprechen muss. Doch es lohnt sich, auf solche Stimmen zu hören und ihnen mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Wer selbst keine Betroffenen kennt, findet viele Erfahrungsberichte und Stimmen im Internet. Es lohnt sich, sich weiterzubilden und dieses Thema von unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, denn: Menstruation Matters!
[1] Simone de Beauvoir, Bk. 2, Pt.. 4, Ch. 1: Childhood, p. 267
[2] Crimethinc., Days of War, Nights of Love (2001)
[3] Judith Butler, The Believer Magazine, Interview, Issue 2